Plötzlich muss sich eine junge Mutter allein um ihre drei Kinder kümmern, weil der Partner unerwartet verstorben ist; der 80-Jährige Vater hatte einen Schlaganfall und wird nun täglich von seinem Sohn gepflegt: Die Gründe für eine Langzeitarbeitslosigkeit sind so vielfältig und individuell wie die menschlichen Schicksale dahinter. Als langzeitarbeitslos gelten Menschen, die ein Jahr und länger arbeitslos gemeldet sind. Vorurteile führen dazu, dass sie nach überstandener Krise oftmals geringere Wiedereinstiegschancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Hier setzt die Ausweitung eines Modellprojekts der Stadtwerke Norderstedt auf weitere kommunale Energieversorger an. Das Jobcenter Segeberg hatte das Projekt vor dem Hintergrund der Energiekrise im Sommer 2022 in enger Abstimmung mit Landrat Jan Peter Schröder initiiert. Im Kern geht es darum, Menschen in ihren eigenen Wohnungen und Häusern kostenlos zum Energiesparen sowie zum Klimaschutz im Alltag zu beraten. Das Besondere an der Aktion: Im Rahmen eines staatlich geförderten Beschäftigungsverhältnisses stellen Energieversorger hierfür langzeitarbeitslose Menschen ein, bilden diese zum/zur Energiesparberater*in aus und entsenden sie nach erfolgreicher Qualifizierung in die Haushalte, die sich beraten lassen wollen. Neben den Stadtwerken Norderstedt sind seit Beginn des Jahres auch die ews - Energie und Wasser Wahlstedt/Bad Segeberg GmbH & Co. KG sowie die Stadtwerke Bad Bramstedt mit an Bord.
Die Heizung einen Strich runterdrehen, den Kühlschrank auf den Inhalt abgestimmt einstellen und Wasserkocher statt Kochtopf verwenden: Die Energiesparberater*innen kennen Tricks und Kniffe, wie sich mit wenig Aufwand viel Geld sparen lässt. Das Angebot ist für Interessierte kostenfrei. Und: Sie müssen kein*e Kunde/Kundin des jeweiligen Energieversorgers sein, sondern lediglich im zuständigen Bereich leben.
Landrat Jan Peter Schröder spricht von einer „Win-Win-Situation für alle Beteiligten“: Menschen können nach teils langjähriger arbeitsmarktlicher Abwesenheit am ersten Arbeitsmarkt Fuß fassen und Teilhabe erleben. Im Idealfall werden sie nach Ende der Förderdauer sozialversicherungspflichtig übernommen.
Energieversorger entwickeln ihre Mitarbeiter*innen zu Fachkräften und können so ihren Personalbedarf decken. Haushalten steht ein adäquates, kostenfreies Beratungsangebot zur Verfügung. Das Jobcenter trägt aktiv zur Reduzierung der Langzeitarbeitslosigkeit bei, indem es gezielt die Fördermöglichkeiten des Teilhabechancengesetzes nutzt, um langfristige Beschäftigungsperspektiven zu schaffen und Teilhabechancen zu realisieren. Gleichzeitig werden Steuerzahler*innen entlastet, da sich der Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II durch das erzielte Erwerbseinkommen verringert oder gegebenenfalls sogar entfallen kann. Und das Klima profitiert letztlich auch noch von den Einsparungen.
Das Jobcenter hatte ab dem dritten Quartal vergangenen Jahres kommunale Energieversorger im Kreisgebiet angesprochen und das Projekt beworben; zeitgleich hat es potenzielle Energiesparberater*innen identifiziert. Im Ergebnis haben die Stadtwerke Bad Bramstedt sowie die ews Wahlstedt/Bad Segeberg Interesse an einer Projektbeteiligung bekundet, wo zu Jahresbeginn 2023 insgesamt drei Stellen besetzt werden konnten. Darüber hinaus haben die Stadtwerke Norderstedt Ende vergangenen Jahres zwei weitere Projektstellen geschaffen.
„Die erforderlichen Absprachen zur administrativen, organisatorischen und personellen Umsetzung wurden in diversen Austauschformaten gemeinsam mit allen Beteiligten getroffen. Hilfreich hat sich hierbei insbesondere auch die Beteiligung der Stadtwerke Norderstedt erwiesen, die nicht nur ihre langjährigen Erfahrungen zielführend einbringen konnten, sondern darüber hinaus die Qualifizierung der neu eingestellten Berater*innen für die benachbarten Energieversorger in Bad Segeberg und Bad Bramstedt übernommen haben“, sagt Jobcenter-Teamleiter Maik Tönjes, dessen Team für die Förderungen nach Maßgabe des Teilhabechancengesetzes zuständig ist. Aus seiner Sicht war „das bemerkenswert gute Zusammenwirken aller Beteiligten, getragen vom gemeinsamen Willen, das bestmögliche Ergebnis im Sinne der Projektidee zu erzielen, der wesentliche Schlüssel für die erfolgreiche Umsetzung dieses ambitionierten Vorhabens“.
Das sagen die beteiligten Energieversorger zum Projekt:
ews-Geschäftsführer Marco Voß:
„Durch die steigenden Lebenshaltungskosten inklusive der Energiekosten schaut jeder, wo und wie er sparen kann. Dabei zu unterstützen, ist eine wertvolle Aufgabe und stellt einen wichtigen Beitrag dar. Wir haben daher keine Sekunde gezögert und sofort zugesagt, an dem Projekt mitwirken zu wollen. Ich bin sehr froh, dass wir mit unseren zwei Energiesparberater*innen so viel Glück haben. Sie sind zielstrebig, arbeiten extrem selbstständig und bringen ihre Fähigkeiten aus vorherigen Tätigkeiten mit ein. Besser geht es nicht. Für uns als regionärer Energieversorger ist
es ein Teil unserer sozialen Verantwortung und Versorgungsaufgabe, die Menschen in schwierigen Zeiten zu unterstützen – so wie auch im vergangenen Jahr, als viele Versorger ihre Kunden im Stich ließen.“
Marc Fischer, Geschäftsführer der Stadtwerke Bad Bramstedt:
„Nach erfolgreicher Qualifikation und fachmännischen Vorkenntnissen konnte unser neuer Kollege bereits in verschiedenen Haushalten aufschlussreiche Analysen erstellen. Unsere Kunden erhielten von ihm konstruktive Beratungen, die zu Energieeinsparungen führten. Er konnte in den Haushalten bereits Potenziale aufdecken. Mit ihm haben die Stadtwerke Bad Bramstedt einen kompetenten Mitarbeiter sowie einen Mehrwert für unsere Kunden gewinnen können. Besonders in Zeiten, in denen jedem Haushalt enorme Kosten entgegenstehen, ist dieses Projekt von besonderer Bedeutung.“
Andreas Goetzke, bei den Stadtwerken Norderstedt Projektleiter für das Thema Energiesparcheck:
„Unsere Kernzielgruppe sind einkommensschwache Haushalte, die häufig nicht das Geld haben, um sich eine Energieberatung zu leisten. Durch die Energiekrise ist der Beratungsbedarf gestiegen, da die Energiepreise im Bewusstsein der Verbraucherinnen und Verbraucher angekommen sind. Auch wenn der Erstkontakt manchmal schwierig ist, weil niemand gern mit fremden Personen über seine finanziellen Verhältnisse spricht, freuen sich am Ende alle über gefundene Einsparmöglichkeiten. Die Energiesparberater*innen sind besonders motiviert und erfüllen nicht das gängige Klischee des langzeitarbeitslosen Hartz-IV-Empfängers ohne Berufsausbildung und Schulabschluss. Auch liegt ihnen das Thema inhaltlich
besonders am Herzen, was die Beratungsqualität steigert.“
Wer Interesse an einer Energieberatung in den eigenen vier Wänden hat, kann hier Kontakt aufnehmen:
www.ew-segeberg.de/umwelt/energiesparcheck
www.stadtwerke-badbramstedt.de/service/energiespartipps
www.stadtwerke-norderstedt.de/privatkundinnen/service/energiesparcheck
Hintergrund:
Seit 2015 ist das Jobcenter Segeberg mit geförderten Beschäftigungsverhältnissen an der Umsetzung des Projekts „Energiesparcheck“ der Stadtwerke Norderstedt beteiligt – zunächst mit Förderungen nach § 16e SGB II a.F., seit Inkrafttreten des Teilhabechancengesetzes am 1. Januar 2019 auch mit den seither zur Verfügung stehenden Fördermöglichkeiten § 16e SGB II n.F. „Eingliederung von Langzeitarbeitslosen“ sowie §16i SGB II „Teilhabe am Arbeitsmarkt (TaAM)“.